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Geht unser Darm zur Schule?

Inhaltsverzeichnis

… über die Lern- und Gedächtnisfähigkeit unseres „zweiten Gehirns“.

In unserer Körpermitte schlummert ein wichtiges Pendant zur Steuerzentrale in unserem Kopf: unser Bauchhirn. Wir nennen es auch unser „zweites Gehirn“, ein autonomer Teil des Nervensystems: das enterische Nervensystem.

Unser Bauchhirn besteht aus Nervenzellgeflechten, die sich durch die Wand des Magen-Darm-Trakts ziehen. Zu seinen Hauptaufgaben zählen die motorisch-sensorische Steuerung des Darms, Regulation der lokalen Durchblutung, der Gewebsvermehrung (Zellproliferation), des Schleimtransports und der Steuerung von Abwehr- und Hormonsystemen.

Unser Gehirn und unser Darm stehen ständig in engem Kontakt miteinander und kommunizieren über die sogenannte Darm-Hirn-Achse. Auch unser Mikrobiom ist maßgeblich daran beteiligt. (1)

Sowohl unser Kopfhirn, als auch unser Bauchhirn beherbergt komplizierte neuronale Netzwerke. Hierzu gibt es auch Beispiele aus der Entwicklungsgeschichte, wie im Falle der Süßwasserpolypen. Diese besitzen kein zentrales Nervensystem, sondern weisen nur ein Bauchhirn auf. Daher nehmen Wissenschafter an, dass unser Bauchhirn sich noch vor unserem Kopfhirn entwickelt hat, und somit für geraume Zeit an erster Stelle stand.

Bild eines Süßwasserpolypen (Hydra spp.), der nur ein Bauchhirn, aber kein Kopfhirn, besitzt. (2)

Bild eines Süßwasserpolypen (Hydra spp.), der nur ein Bauchhirn, aber kein Kopfhirn, besitzt. (2)

Beide Systeme befinden sich in regem Austausch miteinander. Unser Magen-Darm-Trakt kann durch Außenreize stimuliert werden, dadurch bestimmte Reaktionsweisen erlernen und sich sogar daran erinnern. Bei anderen einfacheren biologischen Systemen, wie Pflanzen und Schleimpilzen, hat man ähnliche Eigenschaften beobachten können.

Um dies zu überprüfen, suchen Forscher nach Beweisen, die diese Fähigkeiten des Darms, “Verhalten zu erlernen”, belegen können. Sie kamen zu dem Schluss, dass wiederkehrende, gezielte Reize die Empfindlichkeit, sowie die Struktur der Nervenzellen im Bauchhirn verändern und sich so eine Art Langzeitgedächtnis bildet, das sich wie ein “zweites Gehirn” verhält. Wiederholte, stetige Entzündungen des Darms oder auch von außen einwirkende Stressfaktoren können auf diese Weise bestimmte, “neu eingelernte” Reaktionen auslösen. Auch Untersuchungen an bestimmten Seeschneckenarten (Aplysia), die zur Erforschung neuronaler Mechanismen besonders geeignet sind, weisen in diese Richtung.

Hypothetisches Modell bezüglich Lernen und Gedächtnis im Darm. Die Pyramide zeigt die Arten des Lernens und die damit verbundenen allgemeinen Prozesse. Es gilt jedoch zu beachten, dass es bisher nocht keine Hinweise auf explizites Lernen im Darm gibt. (3)

Die beschriebenen Ergebnisse zeigen, dass die Veränderungen im Darm über längere Zeit beibehalten werden, auch wenn der ursprüngliche Stimulus weggefallen ist.

Bis jetzt konnte eine Art „einfaches Lernen“ im Darm nachgewiesen werden, jedoch existieren bisher noch keine konkreten Beweise auf explizites Erlernen. Da die formulierte Hypothese dennoch sehr plausibel erscheint, besteht durch die Möglichkeit einer Gedächtnisbildung im Darm, krankhaft verändertes Darmverhalten in dieser Hinsicht genauer zu untersuchen und somit das Auftreten bestimmter Darmstörungen (postinfektiöses Reizdarmsyndrom, funktionelle Oberbauchbeschwerden) zu erklären.

Deshalb sind weitere Studien erforderlich. Das Verständnis, auf welche Art und Weise unser Bauchhirn Informationen verarbeitet, könnte neue Möglichkeiten eröffnen, dieses neu zu programmieren, um Erkrankungen, die bisher als nicht behandelbar gelten, zu heilen.

Dass wir zwei Hirnhälften mit unterschiedlichen Aufgaben besitzen, weiß jeder. Aber dass wir auch zwei Gehirne in uns tragen, ist den wenigsten Menschen bewusst. Die Autoren des Buches fasziniert das Bauchhirn seit mehr als drei Jahrzehnten, und sie sind die führenden Experten in der Neurogastroenterologie. Ihr Ziel ist, die Medizin wachzurütteln und den Blick stärker auf das zweite Gehirn in unserem Körper zu lenken, seine Fehlfunktionen, aber auch sein Potenzial. (4)

Unsere Darm-Hirn-Achse, an der auch unser Mikrobiom maßgeblich beteiligt ist, bleibt somit weiterhin ein unglaublich spannendes Thema. Solltest du ebenso fasziniert davon sein wie wir es sind, findest du unter dem folgenden Link eine tolle

Buchempfehlung

Wir hoffen, du genießt die schönen Sommertage und findest ausreichend Zeit, sie in der Natur zu verbringen, um dein Mikrobiom durch etwas Bewegung – wie im letzten Artikel erwähnt – zu stärken! Hast du es denn schon auf seine Widerstandsfähigkeit testen lassen?

Referenzen

  • https://www.gutmicrobiotaforhealth.com/en/is-there-evidence-that-supports-learning-and-memory-in-the-gut/
  • https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BC%C3%9Fwasserpolypen
  • Schemann, M, Frieling, T, Enck, P. To learn, to remember, to forget—How smart is the gut? Acta Physiol. 2019;e13296. https://doi.org/10.1111/apha.13296
  • https://www.amazon.de/Darm-Hirn-geheime-Nervensysteme-Einfluss/dp/3451600153#reader_3451600153
Ina
Ina
Medizinerin und Mikrobiomexpertin
Ina ist Humanmedizinerin und erforscht mit Leidenschaft das Darmmikrobiom und dessen Bedeutung für die Gesundheit!